«Schauspieltipps haben wir keine, aber Informationen zu Arbeitsrecht und Sozialvorsorge.»

«Hände weg!» – Sexuelle Übergriffe in der darstellenden Kunst – Medienmitteilung

Der Schweizerische Bühnenkünstlerverband ergreift nach einer erschreckenden Umfrage Massnahmen zum Schutz der Künstler*Innen – auf, vor und hinter der Bühne und der Kamera.

  • Yasmin soll beim Casting plötzlich ihre Brüste entblössen, obwohl das für den Werbedreh gar nicht nötig wäre. Der anwesende Produzent will es so.
  • Andri geht nicht mehr gerne zum Tanz-Training, weil sein Choreograf unnötig und zu lange mit seinen Händen seine Haltung korrigiert
  • Natasha erhält ein Angebot für eine Rolle, wenn sie mit dem Geldgeber ausgeht. Und «ausgehen» bedeutet nur eins.
  • Thomas löscht zum x-ten Mal ein Dickpic von seinem Regisseur.
  • Tamara zieht sich im Klo um, weil der Chef wieder mal die Garderobe besucht. Immer dann, wenn sie sich umziehen soll. Und obwohl er da nichts zu tun hat.

577 erwähnte Vorfälle in den letzten 24 Monaten vor der Umfrage
Diese anonymisierten Fälle zeigen das Bild, das sich bei der SBKV-Umfrage zu sexueller Belästigung in darstellenden Berufen zeigt. Während in den USA die #MeToo-Welle für nachhaltige Änderungen in den Köpfen und – mehr noch – zum Schutz der Künstler*innen sorgte, sieht es in der Schweiz an vielen Orten noch schlecht aus. 79 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen hatten in den letzten 24 Monaten die Erfahrung eines sexuellen Übergriffs gemacht, quer über alle Altersgruppen und Geschlechter. Insgesamt wurden 577 Vorfälle erwähnt, davon 400 bei Frauen und 177 bei Männern. (Alle Ergebnisse der Umfrage im Anhang)

«Wenn man bedenkt, dass nur rund ein Drittel unserer Mitglieder an der Umfrage teilgenommen haben, kann man sich die Dunkelziffer und das dahinter verborgene Leid ausmalen», sagt Salva Leutenegger vom Schweizerischen Bühnenkünstlerverband. «In der Branche kennt jeder jemanden mit so einem Erlebnis, oder war selbst betroffen. Aber es ist ein Problem mit dem Machtgefälle. Wer sich wehrt oder aufmuckt, Anzeige erstattet oder Hilfe sucht, muss damit rechnen, nicht mehr engagiert zu werden. Die Täter sind meist in Machtpositionen und gelten oft als ‘kreative Genies’, die sich alles leisten können.»

Massnahmen geplant
Der SBKV hat verschiedene Massnahmen geplant, um den Missständen entgegenzutreten. Eines der wichtigsten Instrumente ist eine anonyme Meldeplattform, die es Betroffenen ermöglicht, Vorfälle, Institutionen, Personen und Produktionen zu melden. Der SBKV kann dann diese Vorwürfe abklären.

Link zur Meldeplattform: szeneschweiz.ch/gegen-machtmissbrauch/

Mit einer Kampagne, die Betroffene dort erreichen soll, wo sie sich bewegen, in der Schauspielschule, in der Garderobe, beim Casting, macht der SBKV die anonyme Meldestelle bekannt. Jede*r kann da, ohne Angst um den Arbeitsplatz, seine Erlebnisse melden.

Weiter hat der SBKV eine Agentur mit einer Recherche beauftragt, die ein Licht in diese dunkle Ecke der Szene werfen soll. «Es ist nicht so, dass man die Täter nicht kennt. Die Leute reden ja untereinander, auch wenn sie sich nicht rechtlich oder medial wehren können, ohne ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Die beauftragte Rechercheurin wird in den nächsten Monaten den Geschichten und Gerüchten nachgehen und die Fakten herausarbeiten. Wie man bei #MeToo in Hollywood gesehen hat, kann ein einziger publizierter Vorfall ganze Unternehmen, sogar altehrwürdige Institutionen in den Abgrund reissen. Wir hoffen deshalb, dass die Häuser, die Agenturen und Produktionsfirmen es selbst in die Hand nehmen, intern aufzuräumen, bevor sie teuer dafür bezahlen müssen.» Der SBKV stehe da natürlich auch den Institutionen und Betrieben beratend zur Seite, die diese Probleme angehen wollen. «Wir wollen denjenigen Unterstützung geben, die diese Problematik offen und proaktiv angehen.»

Weiter sind Workshops geplant, die Mitgliedern sowohl präventiv die Werkzeuge in die Hand geben sollen, um solche Situationen zu vermeiden, wie auch Betroffenen die Möglichkeiten aufzeigen, sich nach einem Vorfall rechtlich zu wehren. «Wir wollen die Künstler*innen aus ihrer Ohnmacht holen und ihnen Instrumente in die Hand geben, mit denen sie sich wehren können.»

Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

SBKV

Salva Leutenegger, Geschäftsleiterin

 

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